„Es wird Gewinner und Verlierer geben“
Trotz Sommerferien und Hitze waren sehr viele Zuhörer zum von den Freien Demokraten Kriftel organisierten Vortrag über die Grundsteuerreform gekommen
Sehr großes Interesse an der Veranstaltung der Freien Demokraten Kriftel zur Grundsteuerreform mit Jochen Kilp (BdSt) und Marion Schardt-Sauer, MdL
„Überwältigt“ zeigte sich FDP-Ortsvorsitzender Florian Conrad am Dienstag vergangener Woche vom sehr großen Interesse der Kriftelerinnen und Krifteler an der Veranstaltung der Freien Demokraten Kriftel zur Grundsteuerreform. Mit ca. 100 Besuchern war der Saal I des Rat- und Bürgerhauses so gut gefüllt, dass es einige Teilnehmer vorzogen stehen zu bleiben.
Nachdem FDP-Ortsvorsitzender Florian Conrad die Gäste begrüßt hatte, erläuterte er, dass der Kommunalreferent des Bundes der Steuerzahler Hessen Jochen Kilp corona-bedingt nur virtuell für seinen Vortrag über die technisch-rechtlichen Hintergründe der Grundsteuerreform zugeschaltet werden konnte und danach die anwesende FDP-Landtagsabgeordnete Marion Schardt-Sauer eine politische Bewertung der Grundsteuer vornehmen werde und er zum Schluss auf die lokale Umsetzung der Grundsteuerreform in Kriftel eingehen werde.
Seinen umfassenden Vortrag begann Kilp mit der Beschreibung der großen Bedeutung der Grundsteuer für die Kommunen, deren Hebesätze sie selbst festlegen können und die ihnen vollständig zugutekommt. Die Grundsteuer wurde bisher mit Hilfe jahrzehntealter Einheitswerte multipliziert mit der Grundsteuermesszahl aus dem Gesetz multipliziert mit dem individuellen Hebesatz der Kommune berechnet. Die Ermittlung der Grundsteuer mit diesen veralteten Einheitswerten hatte das Bundesverfassungsgericht am 10.04.2018 für verfassungswidrig erklärt und eine Neuregelung der Grundsteuer bis zum 31.12.2019 und die Umsetzung der Neuregelung ab 31.12.2024 gefordert – sonst dürfe keine Grundsteuer mehr erhoben werden. Der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz legte hierzu ein Modell mit einer neuen Berechnungsmethode des nun Grundsteuerwert genannten bisherigen Einheitswerts vor, der alle sieben Jahre neu berechnet werden soll. Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens erwirkten die Bundesländer jedoch eine Öffnungsklausel für ihre eigenen Modelle, die ebenfalls von Herrn Kilp vorgestellt wurden. Bayern hat sich zum Beispiel für ein radikal einfaches Flächenmodell mit 0,04 €/m² Grundstücksfläche + 0,50 €/m² Gebäudefläche für den Grundsteuerwert und nur zwei Grundsteuermesszahlen (0,7 für Wohngebäude, 1 für alle anderen Gebäude) entschieden. Hessen wird hingegen ein deutlich komplizierteres Flächen-Faktor-Modell einführen. Entscheidend sind die Größe und Lage des Grundbesitzes. Die Größe setzt sich zusammen aus der Fläche des Grundstücks sowie der Wohn- und Nutzfläche. Die Lage wird bemessen anhand des Bodenrichtwertes des Grundbesitzes im Verhältnis zum durchschnittlichen Bodenrichtwert in einer Kommune. Aus dem Verhältnis der Bodenrichtwerte in der Potenz 0,3 ermittelt das Finanzamt den dem Modell den Namen gebenden Faktor, mit dem der Ausgangswert als Produkt aus Kosten pro Fläche (s. o.) und Grundsteuermesszahl (0,7 für Wohngebäude, 1 für alle anderen Gebäude) multipliziert werden. Laut Land Hessen soll mit den beiden Einflussfaktoren Fläche und Lage dem Äquivalenzprinzip entsprochen werden, dass je größer ein Grundstück und desto besser dessen Lage ist (vermeintlich) desto mehr die Infrastruktur der Kommune in Anspruch genommen wird und desto mehr Grundsteuer zu zahlen sei. Eine Neuberechnung ist alle 14 Jahre vorgesehen. Die Berechnung der Grundsteuer B nach dem hessischen Flächen-Faktor-Modell stellte Kilp am konkreten Beispiel eines Einfamilienhauses dar.
Weiter verkompliziert wird die Grundsteuer durch die Möglichkeit der Einführung einer Grundsteuer C für bebaubare Grundstücke, für die ein Bebauungsplan existiert, die aber noch nicht bebaut sind. Die höhere Grundsteuer C soll dann für eine schnellere Bebauung des baureifen Grundstücks sorgen. Der Bund der Steuerzahler Hessen steht laut Kilp der Grundsteuer C jedoch kritisch gegenüber. Viele Grundstücke blieben aus privaten (z. B. Grundstück für die eigenen Kinder) oder betrieblichen Gründen (z. B. Grundstück für potenzielle Betriebserweiterung) unbebaut. Die junge Familie, die ein Grundstück besitze, aber noch dabei sei, ausreichend Eigenkapital für die Bebauung anzusparen, werde durch eine Grundsteuer C möglicherweise derart belastet, dass sie sich das Bauen nicht mehr leisten könne. Die Spekulanten, die mit der Grundsteuer C eigentlich getroffen werden sollen, würden die höhere Steuerbelastung hingegen einfach beim Verkaufspreis draufschlagen und das Bauen damit noch teurer machen.
Die wohl brennendste Frage, ob man durch die Reform künftig mehr Grundsteuer zahlen muss, beantwortete der Experte folgendermaßen: „Es wird Verlierer und Gewinner im Zuge der Reform geben, je nach Lage der Immobilie. Aber es ist der politische Wille von Bund und Land, dass die Reform unter dem Strich aufkommensneutral sein soll. Dies hängt jedoch von den vor Ort beschlossenen Hebesätzen ab.“ Deshalb sollten die Bürger aufpassen, ob in ihrer Gemeinde/Stadt ein aufkommensneutraler Hebesatz beschlossen wird, den das Land Hessen noch für jede Kommune berechnen und veröffentlichen will.
Zum Schluss seines Vortrags gab Kilp noch wertvolle Tipps zum Vermeiden von Fallstricken beim Umgang mit dem elektronischen Portal der Finanzverwaltung ELSTER und dem Ausfüllen des Formulars „Erklärung zum Grundsteuermessbetrag“.
Im Anschluss an seinen Vortrag, sprach die finanzpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Marion Schardt-Sauer, MdL zur Grundsteuerreform. Die aktuelle Vorgehensweise bei der Erhebung der Daten für die Reform sei eine Umkehrung des liberalen Gedankens, dass der Staat für seine Bürger da sei und nicht die Bürger für den Staat. Die Freien Demokraten wollen einen Staat, der es den Menschen einfach macht und sie nicht zu „Hilfs-Finanzbeamten“ degradiert, um Daten aufzunehmen, die bei den Behörden eigentlich schon vorliegen würden. Außerdem hätte die FDP sich mehr „Technologieoffenheit“ beim Verfahren gewünscht. Dass nicht so digitalaffine Mitbürger nur nach einem Härtefall-Antrag ein klassisches Papierformular bekämen und nicht ohne bürokratische Hürden sei nicht vermittelbar. Da bis jetzt nur ca. 20 % der Verpflichteten die „Erklärung zum Grundsteuermessbetrag“ abgegeben hätten, gehe sie fest davon aus, dass die Abgabefrist vom 31.10.2022 verlängert werde, bis zur eigentlichen Umsetzung der Reform zum Jahreswechsel 2024/25 sei schließlich noch viel Zeit für die Behörden, während die Bürger alles innerhalb von vier Monaten erledigen sollten. Rückblickend stellte sie fest, dass die FDP im Hessischen Landtag eine einfachere Lösung bei der Systematik der Berechnung, wie zum Beispiel keine Grundsteuer C, gefordert hatte, dies jedoch nun größtenteils nicht mehr änderbar sei und man nun zumindest die Umsetzung so bürgerfreundlich wie möglich gestalten sollte.
Zum Abschluss hakte hier der FDP-Ortsvorsitzende Florian Conrad ein und unterstrich die Bedeutung der Festsetzung des Hebesatzes durch die Gemeinde Kriftel voraussichtlich 2024. Dass hier der aufkommensneutrale Hebesatz beschlossen werde, sei eine Sache, die in Zukunft noch änderbar sei und die die FDP-Fraktion in der Gemeindevertretung Kriftel bereits in einem Antrag 2019 gefordert habe. Man müsse aufpassen, dass die Anpassung des Krifteler Hebesatzes von 550 nach alter Regelung von der Mehrheitsfraktion nicht dazu genutzt werde Gebühren wie beispielsweise die einmaligen Straßenausbaubeiträge abzuschaffen, indem der dann beschlossene Hebesatz zur Gegenfinanzierung über dem aufkommensneutralen Hebesatz liegt. Erschwerend könne hinzukommen, dass beide neuen Hebesätze unterhalb des alten Hebesatzes liegen könnten, so dass die Krifteler bei einem neuen Hebesatz von beispielsweise 250 dann fälschlicherweise dächten ihre Grundsteuer sei deutlich gesunken, während der aufkommensneutrale Hebesatz bei 200 gelegen hätte. Für eine aufkommensneutrale Reform benötige es daher weiteres Engagement, schloss Conrad.
Wer Interesse an den Unterlagen des Vortrags bzw. eine konkrete Frage an Herrn Kilp hat, kann unter info@fdp-kriftel.de oder 0176 65851153 die FDP Kriftel kontaktieren.
Bildquelle: FDP Kriftel